Warum agil auch schneller bedeutet.

Sehr häufig höre ich die Erwartung, dass agile Entwicklung mit schnellerer Entwicklung gleichzusetzen ist. Wenn dann erste Erfahrungen gesammelt wurden, stellen die Beteiligten häufig fest, dass die Entwicklungszeit immer noch ungefähr gleich ist. Eine dann oft zu hörende Aussage ist, dass „wir wenigstens nicht langsamer geworden sind, aber dafür die Qualität der Ergebnisse und Entscheidungen gestiegen ist“. Aus meiner Sicht ist das ja schon ein schöner (erster) Erfolg. Dies hängt aber auch häufig von der Ausgangslage ab: Wenn z.B. früher Projekte mit irrwitzigen bis unmöglichen Terminplänen gestartet wurde, muss man sich nicht wundern, wenn diese nun „trotz Agilität immer noch nicht klappen“. Ein anderer häufiger Grund ist die meist nicht geänderte umgebende Organisation des agilen Teams, so dass die Effekte im Gesamtergebnis nur wenig sichtbar werden.

Ich möchte in diesem Artikel meine Erfahrungen teilen, warum meines Erachtens Agilität am Ende aber doch zu einer höheren Geschwindigkeit führt. Die Aspekte sind:

  • Transparenz und Iterationen ermöglichen frühzeitige und häufige Richtungsänderungen
  • Transparenz ermöglicht Verbesserungen
  • geringere Durchlaufzeiten durch Fokussierung auf eine hohe Wertschöpfung (Vermeidung von Parallelarbeit)
  • höhere Leistung durch höhere Motivation
  • weniger Warten auf Experten durch Team-Verantwortung und Wissensverteilung im Team
  • Vermeidung von unnötigen Tätigkeiten und unnötiger Dokumentation (Minimaler Prozess)
  • weniger Nacharbeiten durch ein selbstbestimmtes Arbeitstempo (Pull) mit vereinbarter Qualität (DoD)
  • weniger Warten auf Management-Entscheidungen durch ermächtigte Teams

Im Folgenden gehe ich auf jeden Aspekt einzeln ein:

Transparenz und Iterationen ermöglichen Richtungsänderungen

Ein wichtiger Aspekt ist in dem agilen Prinzip „Transparency, Inspection & Adaption“ begründen, also Transparenz gepaart mit kontinuierlicher Anpassung. Nur wenn wir wissen wo wir stehen und wo wir hin wollen, können wir die Richtung sinnvoll ändern. Anderenfalls laufen wir ggf. sehr effizient in die falsche Richtung, ganz nach dem Motto „Wir haben uns verlaufen, kommen aber gut voran“.

Der Weg C im obigen Bild ist insgesamt eben doch kürzer und schneller als die Summe aus A und B, auch wenn der tatsächliche Weg über die Iterationen etwas länger ist. (Pythagoras lässt grüßen)

Transparenz ermöglicht Verbesserungen

Das Gleiche gilt auch für Verbesserungen  der Arbeitsweise im Team. Dies bewirkt zwar nicht direkte eine Erhöhung der Geschwindigkeit, sorgt aber dafür, dass die Arbeitsweisen und Methoden stets verbessert werden.

Geringere Durchlaufzeiten durch Fokussierung

Parallelarbeit ist manchmal durchaus sinnvoll, z.B. wenn auf Zulieferungen  gewartet wird. Unnötige Parallelarbeit führt aber zu weniger Leistung, durch häufige „Task-Wechsel“, also durch die Wiederaufnahme von zuvor unterbrochenen Arbeiten. Viel schlimmer ist, dass wir bei der Unterbrechung von unfertiger Arbeit, diese verzögern. Tun wir das mit allen Arbeiten, verzögern wir auch alle Wertschöpfungen.

Im obigen Beispiel wird die Wertschöpfung erst nach Durchführung aller vier Teilaufgaben erreicht. Durch das gleichmäßige Aufteilen der Kapazität auf alle vier Vorhaben verzögern wir alle Vorhaben um das Vierfache!

Anders sieht die Wertschöpfung aus, wenn wir fokussieren, also zuerst ein Vorhaben beenden:

Hierbei entsteht bereits eine frühest mögliche Wertschöpfung. Diese kann idealerweise in der Vermarktung einer ersten einfachen Produktversion liegen, um früh Geld zu verdienen (Beispiel iPhone 1) und um früh mit dem Markt zu lernen („Lean Startup“). Es kann sich aber z.B. auch um eine Risikominderungsmaßnahme handeln, z.B. eine Machbarkeitsklärung.

Höhere Leistung durch höhere Motivation

Laut Jurgen Appelo (Management 3.0) liegt in der Erschließung ungenutzter Potentiale von demotivierten Mitarbeitern, die Möglichkeit einer Leistungssteigerung von ca. 50%. Zur nachhaltigen Steigerung und dem Erhalt der Mitarbeitermotivation haben sich drei wichtige intrinsischen Motivatoren herausgestellt: Autonomie (Autonomy), Können (Mastery) und Sinn (Purpose).

Autonomie erreichen wir durch selbst organisierte Teams, d.h. dass Teams ihre Arbeitsweise weitestgehend selbstbestimmten dürfen. Jeder Einzelnen bekommt hierdurch einen größeren Einfluss auf sein eigenes Arbeitsumfeld.

Können (im Sinne von: In einer Sache gut sein). Ein Aspekt der in der klassischen Welt durch Spezialisierung realisiert wird. In der agilen Welt bezieht sich das Können auf viele Aspekte: spezielle technische Fähigkeiten, aber auch die Fähigkeit, verschiedene Dinge verbinden zu können; sowie Erfolge, die durch die Synergie in der Teamarbeit entsteht.

Sinn entsteht, wenn jeder erkennen kann, was er selbst und sein Team beeinflusst und wie sich dies im Unternehmenszweck und -erfolg widerspiegelt. Für Spezialisten in klassischen Organisationen ist dies viel schwieriger („Jeder ist nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe“).

Weniger Warten auf Spezialisten durch Team-Verantwortung und Wissensverteilung im Team

A prospos Spezialisten: Wenn diese für viele Teams arbeiten, sind sie häufig nicht verfügbar. Dies verschärft sich durch dienstliche Abwesenheiten, Urlaube oder Krankheit – Also warten wir. Wäre es nicht viel besser, jemanden im interdisziplinären Team zu haben, der vielleicht nicht DER Spezialist ist, das aber auch kann. Der Nebeneffekt ist, dass sich nebenher das Wissen des Spezialisten verbreitet und er dadurch auch nicht mehr so kritisch bezüglich seiner Verfügbar ist. Die Verantwortung für die Summe der Expertisen liegt dann im Team und nicht mehr bei Einzelpersonen.

Vermeidung von unnötigen Tätigkeiten und unnötiger Dokumentation

Unter der Annahme, dass agile Teams „selbst organisierte“ Teams sind, liegt es nahe, ihnen auch die größtmögliche Hoheit über ihren Arbeitsprozess zu geben. Dies bedeutet, dass  Prozesse für die gesamte Organisation nur noch ein absolutes Minimum beschreiben, um die Zusammenarbeit zwischen den Teams und Abteilungen zu gewährleisten. Ich verwende hierbei gerne den Begriff des „Minimum Viable Process“, des minimal lebensfähigen Prozesses.

Hierdurch sind Teams dazu ermächtigt, in Abstimmung mit ihrer zuarbeitenden oder abnehmenden Arbeitsumgebung, unnötige Tätigkeiten zu streichen und nur die Dokumentation und Berichte zu erstellen, die benötigt und genutzt werden. Dies ist im Sinne von „Lean“, die Vermeidung von  Verschwendung (Waste) und spart sowohl Zeit als auch Aufwand.

Weniger Nacharbeit durch ein selbstbestimmtes Arbeitstempo mit vereinbarter Qualität

Wenn nun die Verantwortung im Team liegt und nicht mehr beim Chef oder bei den Spezialisten, kann auch die Arbeitsgeschwindigkeit durch das Team bestimmt werden. Dies hat viele Vorteile: Das Team weiß am Besten, wer und wie etwas gemacht werden sollte. Durch die Kombination von Transparenz und der Wegnahme von externem Druck, können Arbeiten „gut genug“ zu Ende geführt werden. Druck führt nämlich dazu, dass die Arbeiten möglichst schnell abgeschlossen werden und dadurch ggf. die nötige Sorgfalt entfällt („Hot-Potato-Approach“). Daraus ergeben sich Nacharbeiten, die in Summe mehr Zeit und Aufwand benötigen. Die sogenannte Definition-of-done in Kombination mit den Akzeptanzkriterien definieren dabei, wann eine Arbeit „gut genug“ ist. Diese Kriterien sollen von allen Team-Mitgliedern mit der nötigen Disziplin eingehalten werden.

Insbesondere, wenn die Arbeit anderer auf den Ergebnissen des Teams aufbauen oder wenn z.B. Prototypen gebaut werden, erzeugt der „Hot-Potato-Approach“ sehr große Verluste in Form von Zeit und Investitionen.

Weniger Warten auf Management-Entscheidungen durch ermächtigte Teams

In klassischen Organisationen warten Projekte und Mitarbeiter häufig auf die Absegnung von Entscheidungen auf höherer Managementebene (20% der Entscheidungen im Team, 80% im Management). Auch wenn sie nicht warten und auf Annahmen weiterarbeiten, führt dies häufig zu massiven Nacharbeiten. In der agilen Welt begegnen wir diesen Effekten durch die klare Übertragung von Verantwortung auf die durchführenden Teams (80% der Entscheidungen im Team, 20% im Management). Dies hat gleich mehrere positive Effekte:

  • Kurze Entscheidungswege und bessere Entscheidungen
  • Höhere Motivation der Mitarbeiter im Team
  • Entlastung des Managements. Manager können sich wieder um die weitreichenden Entscheidung und um Ausnahmen kümmern

Zusammenfassung

Spielt sich Agilität nicht nur auf Team-Ebene ab und sind die im Artikel genannten Aspekte erfüllt, werden nach wenigen Iterationen nicht nur bessere Arbeitsergebnisse erzielt, sondern diese auch schneller.

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