Zuweisung so spät wie möglich!

Viele Organisationen haben Richtlinien, die eine möglichst frühe Zuweisung von Arbeit erzwingen. So gibt es für viele Support-Organisationen ein Ziel, das eine maximale Reaktionszeit auf Kundenanfragen vorschreibt.

Dabei gibt es ein häufiges Missverständnis: Die Regel, auf eine Kundenanfrage möglich schnell zu reagieren, heißt nicht auch den Bearbeiter früh zuzuweisen.

Auswirkungen

Folgende Auswirkungen ergeben sich daraus:

  • Aus Sicht desjenigen der die Kundenanfragen verteilt, hat sich das Problem schnell gelöst. Nun ist ja klar, wer sich darum zu kümmern hat. (Ich nenne das das „Heiße-Kartoffel-Vorgehen“)
  • Aus Sicht der Bearbeiters: Er muss andere Arbeiten unterbrechen, um sich um die neue Kundenanfrage zu kümmern. Idealerweise lässt sie sich sofort lösen. Schlechtestenfalls ist die Anfrage vom Bearbeiter nicht, oder ncht alleine zu lösen. Auf jeden Fall bekommt er zu den vielen schon laufenden Aktivitäten, noch eine weitere hinzu. Und vielleicht wird dies nicht einmal transparent. Der Druck steigt.
  • Aus Sicht des Kunden: Ein Bearbeiter hat sich zwar gemeldet. Er ist im Zweifelsfall aber nicht der richige Bearbeiter zur Bearbeitung oder hat, nach einer Erstaufnahme, zur weiteren Bearbeitung keine Zeit. Das heißt, der Kunde muss ggf. doch lange warten.

Eine nützliche Methapher: Kassenwarteschlangen

Wir alle hassen es an der Kasse anzustehen. Am schnellsten scheint die Schlange zu sein, die am kürzesten. Um so schlimmer, wenn sich heraustellt, dass andere Warteschlangen doch schneller sind, weil in der eigenen Schlange aufwändige Kundenvorgänge ablaufen. Der Wechsel in eine andere Schlange ist auch nicht mehr möglich oder nicht sinnvoll. Das fühlt sich ungerecht an und das ist es auch.

Dieses Kassenprinzip entspricht dem der frühen Zuweisung.

Viel gerechter ist es, in einer gemeinsame Schlange zu stehen und die Verteilung der Kunden erst direkt vor den Kassen durchzuführen. Wenn nun ein längerer Vorgang eine Kasse blockiert, gehen nachfolgende Kunden an eine andere, früher frei werdende Kasse.

Dieses Kassenprinzip entspricht dem der späten Zuweisung.

Bei dem vorgestellten Beispiel von Supermarkkassen gehen wir von zwei grundlegenden Vorbedingungen aus:

  1. Jede Kasse ist gleich; d.h. jeder Kunde kann prinzipiell an jeder Kasse bedient werden.
  2. Alle Kunden werden gleichrangig behandelt; d.h. es gilt das Prinzip „First come – first serve“.

Spezialisierung als zusätzliche Herausforderung

Schwieriger wird es nun bei spezialisierten Mitarbeitern, wenn jedes Problem von einem anderen Spezialisten bearbeitet werden muss. Wenn für jede Fachdisziplin exakt nur ein Mitarbeiter zur Verfügung steht und dieser auch schnell und eindeutig identifiziert werden kann, sind wir wieder bei der Eingangssituation. Hier stellt sich nun die Frage: Gibt es wirklich nur einen Experten, der diese Kundenanfrage auch bearbeiten muss? Sollte man nicht schon aus Gründen der Ausfallsicherheit, mehrere Experten für ein Thema haben? Denn, was passiert, wenn dieser eine Experte Urlaub hat, krank ist, in Rente geht oder aus sonstigen Gründen ausscheidet? Sicher ist es besser im Notfall Mitarbeiter zu haben, die wenigstens grundlegend weiterhelfen können oder die durch Nachlesen an geeigneter Stelle, helfen können, auch wenn es länger dauert.

Genau so problematisch ist übrigens der direkte Kontakt des Kunden zum Spezialisten. Auch wenn das für Kunden sehr einfach und gut zu sein scheint, wird der Spezialist/Bearbeiter durch eine direkte Mail oder einen direkten Anruf aus seiner aktuellen Arbeit herausgerissen, so dass ab einem gewissen Grad, gar keine zusammenhängende Arbeit mehr möglich ist.

Ein sinnvolles Vorgehen

Es ist daher sinnvoll, alle Anfragen zentral zu sammeln und zu analysieren und in einer Liste zu haben (auch als Backlog bekannt) und danach den Kunden über den Stand zu informieren. Aus dem Backlog können sich die Experten die Kundenanfragen ziehen, dies sie bearbeiten können (Pull-Prinzip). Ist der Spezialist für eine dringende Anfrage nicht verfügbar, nimmt sich der danach am besten geeignete Mitarbeiter der Sache an. Die verbleibende Herausforderung ist die der Analyse.

Triage

Eine gute Technik, diese Herausforderung anzugehen, ist die sogenannte Triage. Dies ist ein Begriff aus der Notfallmedizin, wobei die Patienten durch eine sehr schnelle Analyse in drei Kategorien eingeteilt werden:

  1. Der Patient ist so schwer verletzt, dass er trotz sofortiger Maßnahemen höchstwahrscheinlich nicht überleben wird.
  2. Der Patient ist so schwer verletzt, dass er ohne sofortige Maßnahmen nicht überleben wird oder nachhaltige Schäden erleiden wird.
  3. Der Patient ist leichter verletzt und muss nicht sofort behandelt werden.

Ganz klar, am dringensten sind dabei die Patienten der Kategorie 2.

Zurück zu unseren Kundenanfragen: Wir benötigen ein paar klare Kriterien und dazugehörende Triage-Fragen und wir benötigen ein paar Mitarbeiter, die nichts anderes tun, als die Kundenanfragen anzunehmen und gemäß der Triage-Kriterien zu bewerten. Dieser First-Level-Support fokussiert sich auf Annahme und Analyse und kann im Idealfall das Probem direkt lösen. Anderenfalls wird die Anfrage, angereichert mit den entsprechenden Attributen, in das Backlog geleitet.

Service-Level-Agreements (SLA)

Nun können wir noch das Problem lösen, dass in einer einzigen Warteschlange alle Kunden gleichrangig behandelt werden. Wir können damit sogar  Geld verdienen! Je wichtiger ein Kunde ist oder je mehr er für eine schnelle Dienstleistung bezahlt hat, desto weiter oben im Backlog wird seine Anfrage eingeordnet.

[Titelbild von @hobiindustri auf unsplash.com]

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