Modelle zur Kostenbetrachtung in der Produktentwicklung

Klassisches Management argumentiert gerne mit Kostenaspekten, wenn es um die Veränderung und Optimierung von Prozessen geht. In diesem Artikel wollen wir einmal alle sozialen Aspekte betreffend der Mitarbeiter außer acht lassen und die nackten Zahlen vergleichen.

Es geht um den weit verbreiteten Irrglauben, dass ein Unternehmen nur profitabel arbeitet, wenn alle Mitarbeiter voll ausgelastet arbeiten. Elliahu Goldratt hat dies für Produktionsbetriebe sehr anschaulich in seinem Business-Roman „Das Ziel“ beschrieben. Spätere Bücher, wie „Das Ziel II“ oder „Velocity“ beschreiben auch die Produktentwicklung und das Marketing.

Nun wollen wir uns verschiedene Kostenarten und Kostenmodelle ansehen.

Kosten der Nichtauslastung

Dies ist der einfache und offensichtliche Teil: Eine Ressource, die nicht arbeitet, weil sie nicht ausgelastet ist, kostet Geld obwohl sie keine Leistung erbringt. Es entstehen Kosten der Nichtauslastung, die um so höher sind, je weniger die Ressource produktiv arbeitet. Weil dies so leicht messbar ist und scheinbar viel bringt, konzentrieren sich die meisten Managementsysteme auf diese Kenngröße.

„Offensichtlich wird nur bei voller Auslastung die höchste Produktivität erzeugt.“ Falsch!

Abblidung 1 zeigt die Kosten der Nichtauslastung (=Kosten der Ineffizienz) über der Auslastung einer Ressource.

Der Gedanke hinter diesem Modell ist, dass eine nur zur Hälfte ausgelasteten Ressource, relativ gesehen, die doppelten Kosten erzeugt.

„Wenn die Ressource in einem Projekt nicht voll ausgelastet wird, bekommt sie Arbeit von weiteren Projekten. Problem gelöst! Wirklich?“

Aus dieser Sicht wäre es für das Multiprojektmanagement auch immer gut, mehr Projekte einzuplanen, als theoretisch machbar sind, damit auch im Falle schnellerer Fertigstellung von Arbeit, alle Ressourcen durchgehend beschäftigt sind. In Wirklichkeit erzeugt dies aber mehr Druck und häufigere Aufgabenwechsel, verschlechtert damit die Gesamtleistung und erzeugt massive Verzögerungen.

Nun kommt der nicht so offensichtliche Teil.

Kosten durch verzögerte Auslieferung (Cost-of-delay)

Die Kosten durch verzögerte Auslieferung beinhalten die Auswirkungen der Zeit auf die Ergebnisse.

Wodurch entstehen diese? Einmal dadurch, dass die längere Belegung der Ressourcen mehr Geld kostet, aber auch durch spätere Fertigstellung des gerade bearbeiteten Projekts, so dass später Geld verdient wird und wichtige Marktanteile verloren gehen, gerade in der heutigen schnelllebigen Zeit. Darüber hinaus verzögern sich aber auch alle weiteren Projekte, was zusätzlich verlorenes Geld bedeutet.

Die Warteschlangentheorie erklärt, dass die Wartezeiten für neue, nach dem Zufallsprinzip eintreffende Anfragen (Kundenprojekte oder Chancen), umso länger warten müssen, je stärker das System bzw. die Ressource ausgelastet ist.

Aber es kommt noch schlimmer: Durch hohe Spezialisierung und die Trennung von Verantwortlichkeiten in den Unternehmen gibt es immer mehr Übergaben zwischen den Bearbeitern, wodurch sich die  Wartezeiten multiplizieren. Waren früher für ein mittelkomplexes Industrieprodukt ungefähr 25 Experten nötig, sind es heute häufig über 100 und diese befinden sich auch meist nicht mehr in einer Organisation und an einem Standort, sondern sind über viele Lieferanten und Unterlieferanten über den Globus verteilt. Da ein Projekt für jeden dieser Experten nicht laufend Aufgaben bereithält, werden noch mehr Projekte parallel ausgeführt. Dies verursacht aber zusätzliche Verluste durch Aufgabenwechsel.

Durch die Verteilung der Aufgaben auf mehr Menschen und mehrere Organisationen werden darüber hinaus noch zusätzliche Ausschreibungen, Bestellungen, Projektleiter und Manager nötig. Dies ist in unserem Beispiel nicht einmal berücksichtigt. Dazu kommen Kosten durch kurzfristigen Aufbau und Einarbeitung von Mitarbeitern bzw. Übertragung von Arbeit an eine externe Organisation (Out-Sourcing).

Es wird ersichtlich, wie gering die Kosten durch Nichtauslastung im oberen Auslastungsbereich gegenüber den Verzögerungskosten zurücktreten. Leider werden die Verzögerungskosten aber meist nicht gemessen oder auch nur geschätzt.

Für ein vollständiges Bild müssen wir alle Kosten addieren. Wie aus Abbildung 3 ersichtlich, entstehen die niedrigsten Kosten in diesem Beispiel bei einer Auslastung von 71%. Die Darstellung zeigt dabei die gesamten Kosten, unabhängig, wann diese entstehen.

Das Problem ist nämlich, dass die verschiedenen Kosten zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstehen. Viele Organisationen und deren Manager werden aber heute dazu getrieben kurzfristig zu handeln (z.B. durch Börsennotierung und zeitlich befristete Managerverträge) und haben damit den Zwang kurzfristig gute Quartalszahlen zu liefern. Unserer Erfahrung nach haben Unternehmen in Familienbesitz dabei wesentlich bessere Grundvoraussetzungen, da diese meist viel langfristiger denken.

Dringende Dinge, die unwichtig sind nicht zu tun, ist schwer. Meist ist es einfacher alle Dinge, die zu tun sind gegeneinander priorisiert darzustellen und konsequent von oben nach unten zu bearbeiten. Dabei hilft die Visualisierung durch ein Backlog (Stapel), bekannt aus Kanban und Scrum. Kommt dabei noch die Dimension des Aufwands hinzu, hilft das von uns entwickelte Upswing-Gravity-Field im P4-Framework.

Abbildung 4: Eisenhower-Matrix

Es ist eine sehr menschliche Eigenschaft, kurzfristige (dringende) Themen höher zu priorisieren als langfristige (wichtige). Viele kennen zwar die bekannte Eisenhower-Matrix, schaffen es aber oft nicht, eine langfristig sinnvolle Balance für die Organisation zu finden. Dies baut „technische und organisatorische Schulden“ auf, für die bis zur Tilgung Zinsen in Form von Geld und Mehraufwand gezahlt werden müssen.

Letztendlich bedeutet langfristiges Denken und Handeln, immer eine Investition in die Zukunft, egal ob es sich um die Entwicklung neuer Technologien handelt, den Aufbau von Mitarbeitern oder Prozessverbesserungsmaßnahmen handelt. Für die Darstellung von Investition und Gewinn wird häufig die sogenannte J-Kurve genutzt. Hierbei wird der zeitliche Verlauf von Investition und Gewinn dargestellt, was dabei hilft, gute Entscheidungen über einzelne Maßnahmen zu treffen. Dabei helfen die Kenngrößen „maximaler Invest“, der Zeitpunkt „Break-Even“, also der Zeitpunkt, wenn die erzielten Gewinne die Verluste zurückbezahlt haben, und der Return-on-investment, das Verhältnis aus maximaler Investition und erzieltem Gewinn.

Technische und organisatorsiche „Schulden“ sind Dinge, die bewusst oder unbewusst nicht getan wurden, z.B …

  • reduzierte Produktqualität aufgrund von weniger Tests
  • schlechte Wiederverwendung von Systemarchitekturen aufgrund fehlender Anpassungen (z.B. durch Refactoring)
  • höhere Durchlaufzeiten in der Produktentwicklung durch fehlende Anpassung der Teamstrukturen
  • Verlust von Wissen aufgrund von fehlender Ausbildung der Mitarbeiter

Abbildung 6: Auf- und Abbau von technischen und organisatorischen Schulden.

Werden technische und organisatorische Schulden nicht zeitnah getilgt, summieren sie sich zu stattlichen Beträgen auf, was dann zu kompletten Umstrukturierungen oder Neuentwicklungen von Produkten führt, im schlimmsten Fall zur Geschäftsaufgabe eines Organisationsbereichs. Wie Abbildung 6 zeigt, kommt es bei der Tilgung von Schulden auf Regelmäßigkeit und kurze Zeiträume an. Hierbei unterstützen iterative Frameworks, wie Scrum und das P4-Framework.


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