Schuld sind die Managementsysteme, nicht die Manager

„The prevailing management system has destroyed our people“ schrieb W. Edwards Deming 1990 im Vorwort von Peter M. Senges Buch „The fifth discipline“, das ich gerade wieder lese. Er bezog sich explizit, darauf, dass sowohl Manager, als auch Mitarbeiter durch die vorherrschenden Managementsysteme verlieren, was auch sein berühmter Ausspruch ausdrückt: „Ein schlechtes System wird immer eine gute Person schlagen“ (original: „A bad system will beat a good person every time“).

Deming sagt auch woher dieses Problem seiner Ansicht nach kommt: „We will never transform the prevailing system of management without transforming the prvailing system of education. […] By the time all children are 10 they know what it takes to get ahead in school and please the teacher – a lesson they carry forward through their career of pleasing the bosses. […] It will take generations, not years, to change such deep embedded beliefs and behaviors.“ Es geht also auch darum, wie wir in unserer Gesellschaft lernen, nicht nur wie wir arbeiten.

Peter M. Senge erklärt in seinem Buch über die „Lernende Organisation“, dass „Systems Thinking“ das entscheidende Elemente dafür ist, worauf ich im folgenden noch tiefer eingehe. Ich bin sowohl begeistert, dass er bereits 1990 so viele Erkenntnisse über „Lernende Organisationen“ und ihre Voraussetzungen klar formuliert hatte, als auch traurig und enttäuscht, dass diese Erkenntnisse immer noch so wenig in der Praxis umgesetzt werden. Andererseits sind wir ja nun eine Genration weiter. Von daher wäre es heute, nach ca. 30 Jahren, an der Zeit, dass sich Änderungen durchsetzen!

Die größte Behinderung für die Entstehung einer lernenden Organisation ist in unseren heutigen, vorherrschenden Management-Systemen, der starke Anreiz, kurzfristige und lokale Erfolge zu erzielen und dabei wichtige, langfristige und organisationsweite Veränderungen nicht ermöglichen. Hier greift das „Management-Paradoxon“,  (… Du bist entweder zu weit weg oder zu machtlos…). Durch Überlastung des Systems bleibt Managern meist noch nicht einmal die Zeit über die tiefgreifenden Zusammenhänge nachzudenken.

Senge geht von einer dreistufigen Verhaltenspyramide aus:

  1. Reaktiv: Wir planen und reagieren auf Ereignisse (Event-getrieben). Dies ist der Arbeitsmodus, der fast automatisch eintritt, wenn zu viele Dinge gleichzeitig laufen
  2. Responsiv: Wir erkennen Muster und verhalten uns entsprechend, erkennen aber nicht die größeren Zusammenhänge
  3. Generativ: Wir verstehen die systemische Struktur und die Systemdynamik und verhalten uns dementsprechend

Systems-Thinking

Systems-Thinking ist der Werkzeugkasten, der es ermöglicht systemische Strukturen und deren Zusammenhänge zu modellieren, zu verstehen und unser Verhalten dementsprechend und zielorientiert anzupassen. Das Problem ist, dass Menschen selbst einfache Zusammenhänge komplexer Systeme mit verzögerten Reaktionszeiten nicht erfassen können, insbesondere wenn sie nur einen Teil des Systems beobachten können.

Das sogenannte „Beer Game„, das 1960 beim MIT entwickelt wurde und seitdem von Generationen an Managementstudenten ausprobiert wurde, zeigt eindrucksvoll was passiert, wenn lokale Entscheidungsträger nur eine begrenzte Transparenz über das Gesamtgeschehen haben.

Dabei kaufen die Spieler, in verschiedenen Rollen einer Handelskette (Einzelhändler, Großhändler, Hersteller), Bier einer bestimmten Marke ein, für das gerade die Nachfrage gestiegen ist, aber nicht genug Lagerbestände vorhanden sind. Durch die fehlende Übersicht, bestellen die Spieler in jeder Runde immer mehr Bier, das aber erst  jeweils nach zwei Runden geliefert wird. Die Verzögerungen führen zu starkem „Überschwingen“ des Systems, so dass in den meisten Fällen nach einigen Runden, die Bierproduktion massiv überhöht wird.

Erkenntnisse aus dem Spiel:

  1. Fehlende globale Transparenz führt zu kurzsichtigen lokalen Handlungen, mit global ungünstigen Auswirkungen
  2. Zeitliche Verzögerungen zwischen Handlung und der Sichtbarkeit der globalen Auswirkung verstärken das Problem massiv

Mit Systems-Thinking lassen sich nicht nur wirtschaftliche Zusammenhänge erklären sondern alle Arten von komplexen Systemen, z.B:

  • die Bildung von Verkehrsstaus,
  • die globale Erderwärmung,
  • die globale Umweltverschmutzung mit Plastikmüll.

Ich bin mir sicher, Ihnen fallen weitere ein.

Ein einfaches Systemmodell der Produktentwicklung

In dem hier beschriebenen Modell gibt es eine Demand-Organisation, die die Verantwortung für das Produktgeschäft hat und über die Gewinne die Produktentwicklung in der Supply-Organisation finanziert. Es ist relativ natürlich, dass die Demand-Organisation immer mehr will. Dadurch wird die Supply-Organisation gezwungen, mehr Produktentwicklungsprojekte zu starten. Mehr gleichzeitig laufende Projekte führen aber zu mehr Wartezeiten (durch Staus in der Supply-Organisation) und zu mehr Druck und Fehlern, was wiederum zu einem Vertrauensverlust der Demand-Organisation führt. Vertrauensverlust führt zwangsläufig zu noch mehr Druck. Es ist ein Teufelskreis.

[Klicken Sie auf das Bild, um dem Link zum dynamischen Modell zu folgen, und drücken Sie auf den Pfeil ^ unter „Demand pressure“]

Der Weg heraus

Der einzige Weg heraus führt über die folgenden Schritte:

  1. die gemeinsame Erkenntnis z.B. durch Systems-Thinking
  2. Akzeptanz der Situation, also keine Schuldzuweisungen
  3. Erzeugung von Transparenz, was die Supply-Organisation schaffen kann. Dies benötigt Vertrauen und Offenheit
  4. Vereinbarung von klaren Prioritäten (durch Demand) und Fokussierung auf diese Prioritäten (durch Supply): Dies ist am einfachsten durch ein Pull-System gemäß Lean/Agile zu erreichen.

Starten Sie das obige Modell noch einmal und drücken Sie diesmal den Pfeil bei „Demand pressure“ nach unten. Sie werden sehen, dass auch eine Aufwärtsspirale möglich ist!

[Photo by nikko macaspac on Unsplash]

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