Der Held und das Team

… oder wie sehr Kleinigkeiten die Team-Leistung beeinflussen.

Vor einiger Zeit habe ich ein Team begleitet, das seit kurzem mit agilen Methoden arbeitete. Die Aufgabe des Teams war, Testfälle für ein großes System zu erstellen und diese zu warten. Das Team hatte gerade begonnen die Aufwände zur Erstellung der Testfälle mittels „Story-Points“ zu schätzen.

Anmerkung: Story-Points werden häufig zur relativen Schätzung von Arbeitsaufwänden genutzt. Dabei werden Arbeitspakete vom Aufwand her gegen eine Referenz verglichen und nicht direkt in festen Einheiten, wie z.B. Arbeitsstunden, abgeschätzt.

Dadurch, dass jedes Team-Mitglied eine Gruppe von Testfällen als Arbeitspaket alleine bearbeitet hat und darüberhinaus die Ergebnisse der Team-Arbeit für alle transparent gemacht wurde, wurde nun die Arbeitsleistung jedes einzelnen Team-Mitglieds offen sichtbar.

Es stellte sich heraus, dass die erfahrenste Person die Hälfte der gesamten Team-Leistung erbrachte (50 SP) und die anderen sieben Team-Mitglieder die andere Hälfte (ebenfalls 50 SP). Für den „Product Owner“, der zufälligerweise auch der Linienmanager des Teams war, gab es nun ein ideales Bewertungskriterium für die Leistung seiner  Team-Mitglieder. Der erfahrenste Mitarbeiter war natürlich sehr, sehr stolz auf seine hohe Leistung im Vergleich zu den neueren Mitarbeitern. Ein vorher schon vorhandenes Konkurrenzdenken im Team wurde dadurch noch verstärkt.

Zusammen mit der Scrum-Masterin des Teams überredete ich den „Product Owner“ zu einem Experiment: Für die nächste Iteration bekam der „Team-Held“ die Aufgabe, die anderen Team-Mitglieder in ihrer Arbeit zu unterstützen und weiterzubilden. Wir versicherten ihm, dass dieses Experiment keinen Einfluss auf seine Bewertung haben würde.

Das Ergebnis war unglaublich: Ohne weitere Änderungen erreichte das Team auf Anhieb die doppelte Leistung (200SP), obwohl der Team-Held nicht einen einzigen Story-Point selbst erarbeitet hatte.

Für den Product-Owner/Linienmanager war dies ein Augenöffner. Er stimmte sofort zu, nicht mehr die Leistung der einzelnen Team-Mitglieder zu bewerten, sondern die Leistung des Teams als Ganzes. Dadurch war es nun auch möglich, dass mehrere Team-Mitglieder ohne schlechtes Gewissen an einem Arbeitspaket arbeiten konnten und das Thema Weiterbildung einen hohen Stellenwert bekam. Nebenbei ist aus dem Team nun ein echtes Team geworden, deren Mitglieder sich vertrauen und ergänzen.

Ich bin immer noch tief beeindruckt von dieser Geschichte, die ich selbst miterleben durfte.

[Titelfoto von Yogi Purnama auf Unsplash]

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